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AutorenbildKatia Tangian

Es werde: ein Lockdown-Kokon

Aktualisiert: 4. Nov. 2021


Videokonferenz, Klappe die 13.. "Was sollen wir als nächstes Thema machen?" "Haben wir nicht alle Themen schon durch?" "Wie wäre es mit Basteln?" "Genau, irgendwas mit Holz!" "Nein, mit Ton!" "Aber ich habe keinen Ton zuhause..."

Im April 2021 - wir schrieben den vierten Monat Lockdown in Folge, - wünschten sich meine Achtklässler eine plastische, handfeste Aufgabe. Verständlich: Die letzten Monate hatten sie am Schreibtisch verbracht, jetzt sehnten sie sich nach etwas Abwechselung. Aber welches Thema sollte es werden? Keiner meiner Vorschläge wollte wirklich zünden. Doch dann hatte Emma F. (8d) eine tolle Idee: Wie wäre es, wenn jeder ein Phantasiegebäude für sich selbst entwerfen würde, das speziell auf die Zeit im Lockdown zugeschnitten wäre? Einen Rückzugsort, sicher und komfortabel, an dem man gut und gern alle künftigen Lockdowns verbringen würde?


Sven B. (8c ) braucht in seinem Lockdown-Kokon nicht viel; Bilderstrecke zum Durchklicken

"Um sich in einem Lockdown-Haus wohlzufühlen, braucht man nicht viel. Man braucht Sachen, mit denen man sich beschäftigen kann, zum Beispiel einen Schrank mit vielen Spielen, oder eine Konsole. Außerdem braucht man ein angenehmes Umfeld, und dies sollte kuschelig sein. (...) Äußerlich soll der Kokon bunt gestaltet sein, da wir Menschen von außerhalb immer fröhlich sind, aber innerlich traurig und verletzt. So spiegelt er unsere momentane Situation wider." (Sven B., 8c)

Alle künftigen Lockdowns? Ernsthaft? Im Plural?! Ich persönlich wäre nie auf diese Idee gekommen; auch hätte ich den Schülern nichts dergleichen vorgeschlagen: zu nah am Feuer, zu persönlich. Aber der Vorschlag kam von einer Mitschülerin, und meine beiden achten Klassen waren sofort Feuer und Flamme. Endlich konnten sie ihre inzwischen reichlich vorhandenen Lockdown-Experience kreativ und eigenwirksam nutzen! Und aus meiner Sicht konnte es auch corona-unabhängig nicht schaden, über das "Weniger ist mehr", Tiny Houses und andere alternativen Wohnkonzepte nachzudenken - um im Anschluss seine eigenen Bedürfnisse, sein Konsumverhalten sowie seinen ökologischen Fußabdruck kritisch zu überdenken.


Das schwarze Quadrat Helene W. (8d), neu interpretiert (Detail)


1. Von Raupe zum Schmetterling: Konzeptarbeit


Der Kokon von Jan-Hendrick E. (8c), teils unterirdisch

Bei der nächsten Videokonferenz sprudelten die Jugendlichen nur so vor Ideen. Doch bevor sie noch konkreter wurden, erarbeiteten wir gemeinsame Kriterien, welche beim Bau berücksichtigt werden sollten, um unsere Modelle von herkömmlichen Häusern zu unterscheiden. Schnell war klar: Der Fokus sollte auf der Reduktion und der Funktionalität liegen. Daher nannte ich das Projekt programmatisch "Mein Lockdown-Kokon". Kompakt und minimalistisch sollte er sein, dazu individuell und maßgeschneidert. Ein bisschen Luxus, ein paar persönliche Gegenstände durften natürlich auch mit. Vor allem aber sollte er weder einem Puppenhaus noch einen Standard-Grundriss gleichen: "zwei Zimmer, Küche, Diele, Bad"... Bloß nicht! Stattdessen sollten Raumschiffe, unterirdische Schutzräume oder U-Boote als Vorbilder fungieren.



Maslowsche Bedürfnispyramide: Defizit- versus Wachstumsbedürfnisse (Quelle s. hier)


Auch die Assoziationen mit den eng bemessenen, aber funktionalen Kokons aus der Tierwelt erschienen mir in diesem Zusammenhang willkommen. Genau wie die positive Message, die dem Bild eines Kokons innewohnte: Nämlich die Verwandlung einer Raupe in einen Schmetterling, eine geheimnisvolle und faszinierende Metamorphose, wie sie sich in der dunklen Geborgenheit eines Kokons vollzog. Und so hoffte ich, dass es auch den Jugendlichen gelingen würde, ihre lockdownbedingte Isolation konstruktiv, als eine Phase der Introspektion und der Selbstfindung zu nutzen. Ich war schon ganz gespannt auf die vielen bunten Schmetterlinge, die demnächst ihren Lockdown-Kokons entfliehen würden, um uns alle mit ihren neuen Einsichten und Lebenszielen zu überraschen.



Kokon + Kaffee = Qualitytime © Ryan Pagelow

Allerdings waren wir davon noch weit entfernt. Der Lockdown war im vollen Gange, und meine Achtklässler schienen nur eins zu wollen: basteln! Und zwar sofort! Doch statt dessen scheuchte ich sie zurück an den Schreibtisch. Schon wieder! Es half ja nichts: Bevor wir mit dem Modellbau beginnen konnten, brauchten wir ein solides Konzept sowie eine individuelle Bedarfsanalyse - wie bei jedem anderen Bauvorhaben auch.

Dafür räumte ich den Schülern zwei Wochen Zeit ein. Eine Menge Fragen mussten noch geklärt werden: Was würden sie im Fall eines erneuten Lockdowns benötigen? Was hatte sich im aktuellen Lockdown bewährt, was hatten sie vermisst, was sollte anders werden? Und würden sie in ihrem Kokon allein leben wollen oder mit einem Freund, Familienmitglied oder Haustier? Wo würden sie sich gern niederlassen: Am Meer, in der Wüste, auf einem Berggipfel? Wie groß wäre ihr Kokon? Wie würde er aussehen? Fragen über Fragen...


Angelina B. (8c) wünschst sich eine Glaskuppel, um den Überblick zu behalten


Sobald sie eine grobe Idee hatten, sollten die Schüler deren Umsetzbarkeit prüfen. Also machten sie sich Gedanken zur Statik, zum Material, zur Inneneinrichtung, zur Oberflächengestaltung und vieles mehr. Die zweite Projektwoche ging ins Land, und sie saßen immer noch am Rechner, zeichneten Grundrisse, fertigten Skizzen an... Dabei wollten sie doch eigentlich nur basteln! Doch auch diese Phase ging schließlich vorbei, und nach viel Kopfarbeit und unzähligen Mails, Vorschlägen und Feedbacks konnte endlich die Praxis beginnen.


Bastian K. (8d) würde im nächsten Lockdown am liebsten die Segel setzen


 

2. Mein Lockdown-Kokon: die Aufgabenstellung


Wer sich selbst an einem Lockdown-Kokon ausprobieren möchten: Hier ist die Aufgabenstellung dazu.

Jedem gelungenen Projekt geht eine gute Planung voraus! Verfasse ein schriftliches Konzept zu deinem idealen Lockdown-Kokon.

Textlänge: max. eine DinA4-Seite, gern bebildert (eigene Skizze; Vorbildern aus dem Netz...)

Bearbeitungszeit: zwei Kunst-Doppelstunden (also insgesamt zwei Wochen) 


Folgende Fragen sind zu klären (gern auch weitere, eigene Fragen):

1. Was brauche ich in meinem Lockdown-Kokon, um mich darin wohl zu 
   fühlen?
2. Wer soll den Kokon mit mir teilen? (Denke allerdings daran, dass 
   jedes Lebewesen, ob Bruder, Freundin, Hund oder Zimmerpflanzen, 
   seine Bedürfnisse hat, die mit  berücksichtigt werden müssten.)
3. Wo soll mein Kokon stehen? Soll der Raum drumherum mit gestaltet 
   werden (Garten, Wüste, Wasserfall), oder reicht der Kokon an 
   sich?
4. Wie soll der Kokon äußerlich aussehen?
5. Wie groß soll das Modell am Ende werden?
6. Aus welchen Materialien würde der Kokon "in Echt" gebaut sein, und 
   womit könnte ich diese Materialien bei meinem Modell nachahmen? 
   (Alternativ  für diejenigen, die digital arbeiten möchten: Welche
   digitalen Möglichkeiten stehen mir zur Oberflächen-Simulation zur 
   Verfügung?)

Tipp:  Denk' bitte daran: Weniger ist oftmals mehr! Außerdem: Je weniger dein Kokon einem Puppenhaus gleicht, desto besser. Statt dich also an einem Playmobil- oder Barbie-Haus zu orientieren, solltest du dir lieber U-Boote, Raumschiffe und andere Überlebens-Behausungen zum Vorbild nehmen.

Ich freue mich schon auf deine Ideen!

Hex hex: Das Dach dieses Kokons lässt sich wegzaubern (Anika S., 8c).

"Der Kokon soll außen eher rustikal wirken und mit natürlichen Farben angemalt werden, und innen weich und in den Farben Rosa und Weiß sein (harte Schale, weicher Kern). Und der Kokon ist eher klein, weil es so gemütlich wirkt. Im Kokon ist alles vorhanden, was man braucht, deswegen muss man nicht raus. Er soll als Schutz vor der Außenwelt dienen, so wie auch der Kokon in der Tierwelt als Schutz für Eier oder Jungtiere dasteht."

Alexia D. (8d) möchte ihren Kokon mit ihrer Schwester teilen

"(...) Ich möchte den Kokon mit meiner Schwester Carina teilen, da ich mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen kann (vor allem im Lockdown). Auch wenn sich das Gestalten des Kokons dadurch schwieriger gestaltet, möchte ich keinesfalls ohne sie leben."

Stay in the flow: Mit seinem Boot-Kokon bleibt Justus H. (8c) in Bewegung

"(...) Ich hatte vor, ein Schiff zu bauen, auf dem ich schlafen, Homeschooling machen und kochen kann. Im Keller, den man leider nicht sehen kann, kann ich dann noch Lego bauen, was ich während Corona sehr viel gemacht habe."

 

3. Unrerrichtsplanung in Zeiten von Corona


Amélie K., 8c (Detail)

Geplant war eigentlich ein Langzeitprojekt im Homeschooling. Jeder Schüler sollte in seinem Tempo, mit seinem Lieblingswerkzeug und mit seinen Lieblingsmaterialien arbeiten können - und zwar zuhause. Erst am Ende der Unterrichtsreihe sollte das fertige Modell in die Schule gebracht und dort ausgestellt werden. Soweit die Theorie.

Doch wie so oft in Zeiten von Corona kam alles anders als geplant. Kaum hatten wir mit dem Modellbau begonnen, wurde der Lockdown aufgehoben, und die Schulen öffneten überraschend ihre Türen: Zuerst im Wechselmodell, dann wieder im Präsenzmodus, mit vollen Klassen.

Justus H., 8c (Detail)

Natürlich hatten wir uns alle auf den Präsenzunterricht gefreut. Trotzdem stellte er uns vor unerwartete Probleme. Zum einen, weil die Modelle eigentlich zu sperrig waren, um sie während des Wechselunterrichts hin und her zu transportieren. Zum anderen, weil sie im regulären Präsenzunterricht eigentlich zu groß waren und nicht auf die winzigen Einzeltische der Schüler passten, die nun Schulter an Schulter auf dem engsten Raum arbeiten mussten. Vom heimischen Werkzeug-Equipment samt Schraubenstock, Säge, Bohrmaschine & Co ganz zu schweigen. Ade, freie Platz- und Zeitgestaltung... Zumindest in dieser Hinsicht hatte das Arbeiten im Homeschooling seine Vorteile.


Lale S. (8d) mag es gern puristisch - mit einer Prise Luxus.


Nun mussten wir also improvisieren. Aber zum Glück hatte uns Corona extrem anpassungsfähig, stressresistent und flexibel gemacht. (Oder? Oder?!) Kurzerhand plante ich das ganze Projekt um. Für die Zeit des Wechselunterrichts splitterte ich den Arbeitsprozess in zwei Teile: Während der Präsenztage in der Schule wurde an kleineren Gegenstände wie Möbeln und Dekorationsobjekten gefeilt. Die sperrigen Kokons dagegen blieben zuhause, wo sie an den Homeschooling-Tagen in Angriff genommen wurden. Erst mit der finalen Rückkehr in den Präsenzunterricht, also kurz vor den Sommerfrien brachten die Schüler ihre Modelle mit in die Schule, um sie dort fertig zu konfigurieren. Planen, umplanen, um dann von Tag zu Tag immer neu zu planen? Nichts leichter als das!


Sebastian P. (8d) löste das Problem der Statik mit einem leeren Computergehäuse

Dass dieses Projekt auch für die Schüler aufwendig werden würde, hatte sich schon bei den Vorbesprechungen abgezeichnet. Allein die Menge an benötigtem Werkzeug und Material hatte jeden Unterrichtsrahmen gesprengt. Und dass der Modellbau zeitlich wie handwerklich anspruchsvoll werden würde, sollte auch jedem klar gewesen sein. Doch die Schüler wollten es scheinbar nicht anders. Etwa zwei Monate lang schraubten, sägten, klebten und montierten sie, was das Zeug hielt. Oder auch nicht hielt - und dann fiel alles auseinander und musste fluchend zusammengesucht und neu montiert werden.

Doch vielleicht war gerade dieses Fluchen das Beste am ganzen Projekt: Anstatt sich über die Dinge aufzuregen, die man eh nicht ändern konnten - Corona, Lockdown, Homeschooling... - regte man sich über Dinge auf, die man wortwörtlich in der Hand hatte. Das gemeinsame Lachen über das eine oder andere Missgeschick wirkte erfrischend und befreiend. Konnte man sich eine bessere Lockdown-Aufarbeitung vorstellen?


Elisa B. (8d) würde gern in einem inaktiven Vulkan wohnen

"...Ich fing an, an einem 40 x 40 x 40 cm großen Styroporwürfel zu schleifen und sägen. Ich startete und merkte irgendwann, dass es mich mehr herausfordern und mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, als ich dachte. Ich nahm Werkzeuge wie Sägen, Bohrer…, von denen ich vorher nicht einmal gehört hatte, zur Hand und bearbeite 3 Wochen lang hartnäckig meinen Styroporwürfel, bis er ENDLICH Form annahm."

 

4. Reflexion: Was von Konzepten übrig blieb


Nachdem die Modelle fertig waren, werteten die Schüler sie schriftlich aus. Dazu verfassten sie kurze Reflexionen. Darin schilderten sie ihren Arbeitsprozess und begründeten die von ihnen getroffenen Entscheidungen. Diese Reflexionen sollten das Projekt gebührend würdigen und einen Schlussstrich darunter ziehen. Vor allem aber machten sie deutlich, wie stark sich die fertigen Modelle von den ursprünglichen Entwürfen unterschieden. Einige Veränderungen hatten die Jugendlichen vorgenommen, weil ihnen beim Bauen etwas besseres eingefallen war. Doch die meisten Modifikationen waren aus der Not heraus entstanden: Der Kleber wollte nicht halten, der Cutter rutschte ab, die Farbe zerlief, und so fielen einige Reflexionen am Ende sehr selbstrkritisch aus - oder aber auch selbstironisch, wie etwa der Text von Finja S. (8d):



"Notengutheit" versus Zeit: Finjas Selbsteinschätzung

"Auch sehr spannend sind meine Noten-Erwartungen von Anfang des Projekts bis Ende: OMG, ich gebe mir voll Mühe, ich will ´ne 1-; na, 2-3 wären auch okay; ich gebe mir noch mehr Mühe und schaff´ noch ´ne 2+. Solange es besser als ´ne 5 ist, kann ich mich nicht beschweren. Na, selbst bei ´ner 5 hab´ ich nix zu meckern."

Didaktischer Exkurs: der schöpferische Winkel

Nicht nur Finja, auch andere Kreative haben sich an Kreativitäts-Diagrammen versucht, etwa der abstrakte deutsche Maler Willi Baumeister. In seinem Standardwerk "Das Unbekannte in der Kunst" (1947) führt Baumeister den Begriff des schöpferischen Winkels ein (s. unten). Damit beschreibt er die mal mehr, mal weniger ausgeprägte Diskrepanz ziwschen dem künstlerischen (Schein-)Ziel und dem finalen Ergebnis. Sein Fazit: Egal wie präzise ein Künstler (Forscher, Wissenschaftler...) seine Arbeitsschritte plant, am Ende kommt doch alles anders. Und gerade darin liegt laut Baumeister der größte Reiz des kreativen Prozesses - dass man nicht nur sein Publikum, sondern auch sich selbst immer aufs Neue überrascht.

Diagramm des Kreativitätsprozesses von Willi Baumeister, 1947, Quelle s. hier


Georg Q. (8d) behält gern den Überblick


Ein besonders anschauliches Beispiel für einen stark ausgeprägten schöpferischen Winkel stellte das Modell von Georg Q. dar. Seine urspüngliche Planung lautete wie folgt:

"Ich brauche in meinem Kokon Konsolen und einen PC, eine Badewanne, Saxophon und Klavier und Glaube (...). Mein Kokon soll ein Baumhaus auf einer Bergspitze werden, weil ich dort näher am Himmel bin und ich die Natur liebe. Außerdem kann ich dort gut mit meinem Hund spazieren gehen und ich störe niemanden, wenn ich ein Instrument spiele".

Geplant war ein zweistöckiges Baumhaus, in dem alles Wichtige Platz finden sollte, vom PC über Hund bis hin zum Klavier. Doch dann kam Georg die Praxis in die Quere - und mit ihr die Ernüchterung:


"In der 1. Etage sollte ein Bett, ein Kissen für meinen Hund und ein TV sein. In der 2. wollte ich ein Saxophon und Klavier reinbauen, aber das hat alles nicht geklappt. Ich hab ein Bett im Baumhaus und sonst nix. Statt einer Leiter muss ich jetzt ein Seil hochklettern, weil ich keine Lust hatte, eine Leiter zu bauen. Ich hatte mich beim Material voll verschätzt. Ich wusste nicht, woraus ich den Baum machen sollte. Also hab ich nach irgendetwas gesucht und hab biegsames Holz gefunden (...). Ich war unter Zeitdruck und wollte das Baumhaus irgendwie fertigstellen."

Georgs Enttäuschung ist nicht zu überhören. Doch vielleicht mag ihn ein wenig trösten, dass der Betrachter weder das Klavier noch den zweiten Stock vermisst: Schließlich kennt er Georgs "Scheinziele" nicht, also erfreut er sich einfach am Ist-Zustand. Und dieser kann mit seinen filigranen Ästen und natürlichen Farben durchaus überzeugen.


Mia R. (8c) und wie sie die Welt von oben sah

Bei einigen Modellen war die praktische Umsetzung derart aus dem Ruder gelaufen, dass nicht einmal der "schöpferischer Winkel" von Baumeister aus der Patsche konnte. Hier ein Beispiel dafür: Am Vorabend der Abgabe erreichte mich die knappe Mail eines Schülers, in der er mir zerknirscht mitteilte, dass sein Kokon "unwiderruflich zerstört" sei. Auf meine Bitte hin verfasste der Schüler einen Unfallbericht. Darin schilderte er zunächst seinen einzigartigen Kokon, ein handwerkliches Wunder, eine wahre Männerhöhle!.. - und dann, wie diese dem Schicksal zum Opfer fiel. Zum Glück für die Nachwelt und mit der Erlaubnis des Schülers darf ich hier seinen Text veröffentlichen - natürlich anonym:


"Mein Kokon war eine Art Bunker (…). Das Spezielle war ein kleiner Fußballbereich (…). In einer Ecke des Bunkers befand sich der Fitnessbereich. Dort waren zwei Fitnessgeräte, Kurzhanteln und eine Langhantel. Daneben war noch ein kleines Regal mit verschieden schweren Gewichten. Ich hatte kein richtiges Bett, sondern nur eine Matratze und davor ein Fernseher mit meiner PS4 verbunden. Neben der Matratze befand sich ein Minikühlschrank. Bericht, wie mein Kokon kaputt ging Am Dienstag Nachmittag habe ich in meinem Zimmer Fußball gespielt. Ich habe ihn jongliert und gegen die Wand gepasst. Nach einer Weile habe ich ihn zu hart gegen die Wand gespielt. Der Ball flog gegen meinen Kokon und danach fielen noch ein Buch und meine Federmappe drauf. Der Kokon war komplett zerstört. Am Ende habe ich nicht nachgedacht und ihn entsorgt."

Nun, so schnell konnte es gehen: gerade noch ein Meisterwerk der Technik, und schon im nächsten Moment - ein Häufchen Müll. Zum Glück erreichten alle anderen Kokons unbeschadet das Schulgebäude, sodass sie nicht nur begutachtet, sondern auch fotografiert und ausgestellt werden konnten.


Anika S. (8c): das Kokon-Innenleben


 

5. Nachbesprechung und Ausstellung


Max H (8d), Detail; das Fahrrad ist ein Fundstück, der Pool aber - eine Eigenanfertigung.

Als die fertigen Modelle nach und nach in unserem Kunstraum eintrudelten und sukzessive alle Abstellflächen belegten, war ich überwältigt von ihrer Vielfalt und Originalität. So unterschiedlich die Schüler selbst waren, so unterschiedlich waren auch ihre Kokons. Einige von ihnen waren groß und sperrig, andere passten auf eine Hand. Einige waren bunt, andere - monochrom. Auch konzeptuell unterschieden sie sich stark voneinander. So wollten viele Schülr den Lockdown allein verbringen , um "ihre Ruhe" zu haben: "Als Mitbewohner würde ich nur mit ein paar Pflanzen leben, damit ich mich nicht ständig aufrege und mich hin und wieder um die Pflanze kümmern kann," schieb etwa Sven B. Andere Schüler wollten ihren Kokon mit ihrer Katze, ihrer besten Freundin oder ihrer Schwester teilen (s. oben).


Elisa B. (8d), Detail

Die einen wollten ganz weit oben in einem Baumhaus residieren, die anderen sich in einem unterirdischen Bunker verstecken. Auch die Lebensmittel-Versorgung spielte eine wichtige Rolle: Während die einen von Tomaten auf dem Dach oder einem solarbetriebenen Gewächshaus träumten, rechneten die anderen fest mit ihrem Pizzalieferanten. Und schließlich wünschten sich viele Jugendliche mehr Mobilität: Wenn sie schon zuhause bleiben mussten, so wollten sie doch wenigstens mit ihrem Kokon verreisen können. Also montierten sie daran Räder, Bootanleger oder sogar Triebwerke , um sich mit ihrer Hilfe ins All zu schießen: "Ich habe mich für eine Rakete entschieden, da ich damit gerne weg von Corona in den Urlaub (Weltall inklusive) fliegen möchte," so Felix B.



Sophi W. (8d), Detail

Um das fertige Projekt zu honorieren, fotografierte ich die einzelnen Kokons von allen Seiten. Zu ihrer Nachbespechung nahmen wir uns eine ganze Doppelstunde Zeit. Schließlich waren die Projekte nicht nur extrem komplex und detailreich, sondern auch noch sehr persönlich. Sie machten sichtbar, was den Schülern im Lockdown gefehlt hatte, wonach sie sich gesehnt hatten, aber auch, dass viele sich zuhause wohl gefühlt hatten und im Fall eines erneuten Lockdowns gar nicht viel verändern wollen würden - oder sogar gar nichts: "Mein Kokon soll wie mein Zimmer aussehen, weil ich daran gewöhnt bin und ich keine Änderung daran will," so Lars R. lapidar.


Angelina B. (8c), Detail

Obwohl uns das Kokon-Projekt viel Zeit und viele Nerven gekostet hatte, hatte sich die Mühe gelohnt. Spätestens bei unserer schulinternen Ausstellung (unten) zeigte sich, welch großen Eindruck diese Modelle auf andere Schüler machten. Von meinem Kunstraum aus konnte ich beobachten, wie in jeder Pause Grüppchen von Schülern davor standen, die Modelle bestaunten, die dazu gehörigen Konzepte lasen, mit dem Finger auf witzige Details zeigten, lachten und handwerkliche Rafinessen bewunderten. Offenbar wurden unsere Kokons als ein willkommener Redeanlass genutzt, um die Zeit im Lockdown zu reflektieren - aber ganz beiläufig und unaufgeregt. So sollte es sein.


Auch dieser Blogbeitrag ist als Redeanlass gedacht. Gleichzeitig soll er die Kreativität der Jugendlichen und das Gruppenprojekt für eine breitere Öffentlichkeit sichtbar machen. Und darüber hinaus kann er vielleicht als Anstoß zum kreativen Mitmachen fungieren. Wer also mag, kann auf der Stelle loslegen und sich selbst seinen eigenen Lockdown-Kokon basteln. Und wer möchte, kann mir die Ergebnisse seines Schaffens als Fotos 7zumailen. Ich freue mich schon auf viele originelle und witzige Ideen!


Einsendungen bitte unter katia.tangian@gmx.net 

 

6. Einzelprojekte in Bild und Schrift


Im Folgenden werden einzelne Kokon-Projekte exemplarisch vorgestellt. Dazu habe ich die Bilder zu kleinen Diashows zusammengefasst, Schülerzitate hinzugefügt und sie teilweise kurz kommentiert. Viel Spaß bei Gucken, Lesen und Schmunzeln!



6.1. Max H. (8d)


Ein besonderes Highlight unserer Schulausstellung bildete das Holzmodell von Max H. (8d). Aus familiären Gründen musste Max fast das gesamte Schuljahr im Homeschooling verbringen. Trotzdem war es ihm gelungen, höchst motiviert mitzuarbeiten und sich sogar von Projekt zu Projekt zu steigern. Sein fantasievolles und handwerklich überragendes Max-Mobil hatte bei den Mitschülern für viele "Aaaahs!" und "Ooooh!" gesorgt. Kein Wunder: Max' Kokon auf Rädern hatte alles, was ein (Jungen-)Herz begehrte: einen eigenen Pool! Einen Garten auf dem Dach! Ein Doppelbett zum Hochklappen! Und darunter - einen Trampolin! Mit einem solchen Kokon wäre jeder Schmetterling... äh, Jugendliche wunschlos glücklich gewesen. (Obwohl - ein Führerschein wäre auch schön... Aber wir wollten uns nicht mit Details aufhalten.)


Max-Mobil, mit einem Pool auf dem Dach und einem Trampolin unterm Bett (Max H., 8d)


"Mein unerfüllter Reisewunsch und das Verlangen nach mehr Bewegung inspirierten mich dazu, einen mobilen Kokon mit Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung zu bauen (...). Am meisten Respekt hatte ich vor dem Umsetzen des Trampolinbettes. Das hat mit einer Netzstrumpfhose und den zwei angebrachten Leisten zur gewünschten Funktionalität geführt. Der Pool mit eingeklebter Isomatte ist wie die Möbel festverschraubt. Der Kunstrasen aus dem Baumarkt verursacht Gartenatmosphäre und isoliert das Dach zusätzlich."



6.2. Emma F. (8d)

...würde den nächsten Lokdown gern auf den Malediven verbringen

"Meinen Lockdown-Kokon habe ich (...) aus einem Lampenschirm gebaut, bei dem man sich vorstellen muss, die Kugel wäre mit Glas überzogen, damit es nicht reinregnet. Innen hängt von der Decke ein „Kronleuchter“, der mit dunkelblauem Tüll dekoriert ist und im Modell sogar leuchten kann. (...) Wenn man genauer hinschaut, sieht man weder eine Küche noch einen Kühlschrank. Das liegt daran, dass ich in meinem Lockdown-Kokon jeden Tag Essen bestellen würde, wie ich es auch in den letzten Lockdowns gemacht habe. Mein Kokon steht im Meer bei den Malediven, eine Treppe führt ins Meer und zu einem angebundenen Boot."

Anmerkung: Als Ideengeberin und Projekt-Initiatorin hatte Emma sowohl die ursprüngliche Projektidee zusammengefasst als auch ihr eigenes Modell reflektiert (s. PDF):



6.3. Amélie K. (8c)

...möchte den nächsten Lockdown in einer Berghöhle verbringen, fließendes Wasser inklusive

6.4. Mattes W.

...würde am liebsten in einer Mülltonne schlafen - aber bitte auf Jupiter

"Für die Planung eines Kokons ist zuerst einmal wichtig, was benötigt wird, damit ich mich wohlfühle. Dabei hilft die maslowsche Bedürfnispyramide. In dieser sind ganz unten die physiologischen Bedürfnisse. Dazu gehört der Schlaf, den ich in einer Mülltonne, die mit Kissen und Decken ausgestattet ist, verbringen möchte, da diese als schwarzes Plastik wärmt und ich es in kleinen, dunklen Räumen mag, zu schlafen."

Mattes' hoch komplexen Überlegungen einschließlich der (von mir nachgereichten) Maslowschen Bedürfnispyramide (!) können hier heruntergeladen werden. Und der Oskar für die kleinste Aufhängetoilette der Welt geht ebenfalls aaaaaaaan: Mattes!



6.5. Sophi W. (8d)

...mag gern Animes - und Pastellfarben


6.6. Andreas K. (8c)

...fühlt sich in der Gesellschaft von Pinguinen wohl

"Warum hab´ ich denn so wenig Möbel? Ist ja zum Teil ein Iglo, mir reicht es, wenn ich schon auf dem Boden schlafe mit einem Schlafsack, das Bett würde wahrscheinlich zufrieren ohne Wärme (...). Also ich hatte viele Ideen, aber das Problem war das Kleben. Immer fiel es runter, es würde mich nicht wundern, wenn das Projekt nach ein wenig Berührungen zerfallen würde. Fazit der Geschichte: Ich bin zufrieden mit dem, was ich gemacht habe. Man hatte viele Möglichkeiten, aber ich bin halt schlecht im Kleben (...)."

6.7. Maja G. (8d)

...würde gern auf einer Wolke entschweben

"Mein Kokon soll von außen die Erscheinung einer Wolke annehmen. Diese ist sehr fluffig und gemütlich gestaltet und stellt meine persönliche ,,Blase“ dar. Sobald man den Kokon sieht, soll Neugier und das Verlangen reinzugehen entstehen, da dieser so wohnlich gestaltet ist. Die Struktur ermöglicht es, von Innen nach Außen zu gucken, aber nicht von Außen nach Innen, um die Gefühle sozusagen für mich in diesem Kokon zu behalten. Zu dieser Wolke gehört ebenfalls ein Aussichtsdeck mit einer Liege, um abends die Sterne zu beobachten."

6.8. Finn V. (8c)

...plant einen unterirdschen Bunker

"Ich würde vorzugsweise meine beste Freundin mitnehmen, da ich mich mit ihr einfach am besten verstehe und wir wahrscheinlich, zwar mit Höhen und Tiefen, auf lange Zeit miteinander leben könnten. Ich möchte auf keinen Fall ein Tier dort haben, da ich erstens dem Tier das nicht antun will, zweitens aber auch im normalen Leben (...) kein Tierfreund bin (ACHTUNG: schwarzer Humor: außer auf meinem Teller)."

6.9. Nina F.

...würde gern von ihrem Baumhaus aus Waldtiere beobachten


7. Was noch alles wichtig war: eine Zitatensammlung

"Um mich wohlzufühlen, brauche ich eine ruhige Umgebung, einen schlichten und kleinen Rückzugsort. Außerdem brauche ich Musik, weil ich mich immer bei Musik entspannen kann." (Sina R., 8d)

Digitale Kokon-Skizze von Irem B., 8d



"Mit mir lebt wie gesagt meine Bartagahmnie und niemand anders. Ich will keinen Garten, da ich mich um diesen nicht kümmern will." (Lars R., 8d) "(…) Zudem brauche ich einen Stromanschluss (für Hausgeräte und evtl. WLAN, um mit meinen Freunden Facetime zu machen. (…)" (Alexia D., 8d)


Konzept-Skizze von Amélie K. (8c)


"(…) Ich denke, eines der wichtigsten Dinge, um sich wohlzufühlen, sind die Gegenstände, die einem am meisten ans Herz gewachsen sind, wie z. B. Geschenke von Freunden oder Familie, schöne Fotos oder vielleicht ganz bestimmte Bücher. Aber am besten wäre es, wenn man auch Sachen im Kokon hat, die einen beschäftigen und dass man sich nicht langweilt, das kann natürlich auch ein Lebewesen sein, z. B. das Haustier o. ä." (Dana B., 8d)

Nina F., 8d, Detail


"(…) In der rechten Ecke unten ist eine Vorratskammer mit ganz viel Essen für mich und meine Katzen. Neben dem Sofa ist eine kleine Nische, wo die Katzenklos und deren Essen steht. An der unteren Seite der Wand ist eine Schiebetür, die auf den Balkon führt, wo ein Whirlpool und eine Hollywood-Schaukel steht." (Ida C., 8c)

Justin K., 8c



Lennard R., 8d: 3D-Simulation des Arbeitsplatzes

"Ich brauche in meinem Lockdown-Kokon nicht viel. Einen geeigneten Raum mit WLAN und geeignete Geräte für YouTube und Netflix, außerdem benötige ich mein Handy. Am liebsten würde ich dort allein sein ohne andere Menschen, die mich stören oder irgendwelche Haustiere, worum ich mich kümmern müsste. Aber auch keine Pflanzen, nur Kunstpflanzen. Mein Kokon sollte unter der Erde sein wie ein Bunker. Aber die Kuppel kann ein wenig rausschauen, es soll wirken wie ein Iglo. Der Kokon besteht aus einer Kuppel, diese ist hell und hat unter der Decke eine künstliche Sonne. Der Kokon besteht aus mehreren Zimmern. Ein Bad, ein großes Schlafzimmer mit gemütlichem Bett, ein großer Fernseher und eine PlayStation fünf. Außerdem ein Schwimmbad und eine Rutsche, die von oben nach unten ins Schwimmbad führt. Am Eingang steht eine große Desinfektions-sprühanlage. Falls man draußen war. " (Nico K., 8c)

Jonte B. (8c): die 3D-Simulation seines Floß-Kokons


"(…) Von meiner Idee, das Dach zu bepflanzen, beispielsweise mit Obstbäumen oder Tomaten oder Ähnlichem, musste ich Abstand nehmen. Zum Einen, weil ich dann Probleme gehabt hätte, das Dach noch zu öffnen, und zum Anderen, weil das noch einmal sehr viel Arbeit erfordert hätte und ich dafür leider keine Zeit mehr hatte." (Zoe W., 8c)

"Ich habe das Modell eines Grubenhauses gebaut und musste leider viele meiner Ideen vergessen, weil diese zu zeit- oder materialintensiv wären. Dazu gehört die Holzbox als Umrandung, damit das Haus in der Erde steht, sowie das Dach zu decken, da man sonst auch nicht hätte reinschauen können. Des Weiteren fehlen die Front und Hinterwand, da ich kein Holz zum Verfüllen mehr hatte. Allerdings habe ich auch noch Dinge wie einen Fernseher, ein Sofa sowie einen richtigen Boden hinzugefügt." (Jan-Hendrick E., 8c)

Mia R. (8c): ein Kokon zum Absenken und Untertauchen

"Es scheiterte schon an so einfachen Sachen wie dem „Maßstab-Berechnen“. Denn wenn ich da Fehler machte, musste ich meistens den kompletten Gegenstand neu anfertigen, was sehr viel Zeit in Anspruch genommen hat. Ab einem gewissen Zeitpunkt, an dem ich schon zum gefühlt hundertsten Mal das Haus neu gebaut hatte, musste ich einsehen, dass es so nicht weitergeht, insbesondere weil ich nicht mehr viel Zeit hatte (...). Daher habe ich angefangen, „nach Gefühl“ zu arbeiten. Es kann also sein, dass etwas nicht hundertprozentig real wirkt. Außerdem hatte ich am Ende ein Platzproblem bzw. es wurde enger als geplant. Wie bereits erwähnt musste ich meinen Perfektionismus ignorieren und trotzdem weiter machen." (Lynn B., 8d)

Emma F. (8d), das Konzept


 

8. Danke!


Applaus und ein großes Dankeschön an alle Schülerinnen und Schüler der Klassen 8c und 8d, deren Projekte ich hier in Bild und Text veröffentlichen durfte:


8c

Sven B.

Jonte B.

Angelina B.

Ida C.

Jan-Hendrick E.

Justus H.

Nico K.

Justin K.

Andreas K.

Amélie K.

Mia R.

Anika S.

Finn V.

Zoe W.

Mattes W.


8d

Lynn B.

Irem B.

Elisa B.

Dana B.

Felix B.

Alexia D.

Nina F.

Emma F.

Maja G.

Max H.

Bastian K.

Sebastian P.

Georg Q.

Lars R.

Lennard R.

Sina S.

Lale S.

Finja S.

Sophi W.

Helene W.

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